Die Geschichte der Spielkarten

 

Die Theorien und Geschichten, die sich um die Entstehungsgeschichte der Spielkarten ranken, sind mindestens so fantasievoll und vielseitig wie jene um den Osterhasen. Einige davon sind allerdings glaubwürdiger, origineller, amüsanter und einfach schöner zu glauben als andere, obwohl sie wahrscheinlich genau so zweifelhaft sind wie der Rest.

Der erste Schritt zurück in die Geschichte galt lange Zeit als gegeben: Die meisten Kulturhistoriker schienen sich darüber einig, dass die modernen Kartenspiele, seien sie nun aus Frankreich und Deutschland mit 32 Karten, aus der Schweiz mit 36 Karten, aus Spanien und Italien mit 40 Karten, mit der kleinen Arkana des Tarotspiels zusammenhängen, das insgesamt 78 Karten umfasst, nämlich 56 aus der kleinen Arkana und 22 aus der grossen Arkana. Unterdessen weiss man, dass die „Tarocchi“ ursprünglich aus Italien stammen und von Karten abgeleitet wurden, die bereits seit 1371 in Spanien dokumentiert sind. Anwendungen damit zum Zwecke der Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsdeutung sind ebenfalls als Konsequenz davon und später entstanden.

Wenn es demnach um die Entstehungsgeschichte des Tarotspiels ging, von dem man wie erwähnt annahm, dass es am Ursprung der eigentlichen Spielkarten läge, war man nicht minder erfinderisch.  Und immer wieder stösst man dabei auf faszinierende Erklärungsmodelle, bei denen Wissenslücken mit persönlichen Interpretationen mehr oder weniger elegant überbrückt wurden – „il faut corriger la fortune“. Die folgende Geschichte ist so gut, und es ist wirklich schade, dass sie nicht stimmt – aber sie kann immer noch als fiktive „Vortragsgeschichte“ herhalten.

Im Jahre 1781 schrieb der französische Archäologe Court de Gebelin ein wichtiges Buch mit dem Titel Le monde primitif, das sich mit der Kulturgeschichte des Tarots befasst. Darin behauptet er, dass Tarotkarten über sechstausend Jahre alt sind. Er führt uns in die Zeit der alten Ägypter zurück, in eine Kultur, die viele Götter verehrte. Einer davon war Thoth, der Gott der Erkenntnis. Ägyptische Priester, die sich um die Verbindung zwischen dem menschlichen und göttlichen Prinzip bemühten, dokumentierten als eine ihrer Aktivitäten sämtliche metaphysischen Botschaften bezüglich des Lebens im Diesseits und Jenseits. All diese Informationen und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse wurden in ein Buch eingeschrieben, dem Buch des Thoth. Einige Gelehrte wollen wissen, dass dieses Buch auch unter dem Namen Tar Ro bekannt war, was in der Sprache der Ägypter „Königsweg“ bedeutet. Aha!

Dieses Buch, so sagt man, wurde von der Öffentlichkeit ferngehalten und nur unter Priestern von Generation zu Generation weiter gegeben. Nach etwa dreitausend Jahren wanderte ein nomadisches Volk aus Indien nach Persien und Ägypten, wo es vom Buch des Thot erfuhr. Viele hundert Jahre später kam dieses Volk in verschiedene Teile Europas, wo es unter dem Namen Zigeuner bekannt wurde. Auf Englisch heissen die Zigeuner „Gypsies“, was zahlreiche Gelehrte als eine Verhunzung des Wortes „Egypt“, Englisch für Ägypten, deuten wollen, das wiederum als Rückschluss auf die Herkunft der Zigeuner aus Ägypten weist. Die Legende besagt, dass die Romas den Inhalt des Buches des Thot in eine allen verständliche Symbol- und Bildersprache umwandelten, wodurch das Tarotspiel entstand. Das passt natürlich bestens zur Tatsache, dass Zigeuner bis zum heutigen Tage auf verschiedenste Weise Tarotkarten verwenden, um den Menschen ihr Schicksal zu deuten.

Allerdings wissen wir mit Sicherheit, dass Spielkarten in Europa bekannt waren, bevor die ersten Zigeuner zu uns kamen, aber die Geschichte ist trotzdem sehr hübsch. Schlagen wir aber jetzt eine erste Brücke von unserer Geschichte zum nachfolgenden Kunststück.

Die kleine Arkana, ursprünglich mit 56 Karten, stand zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturräumen mit den gekürzten Versionen des Kartenspiels im Zusammenhang – diese hatten 32, 36 oder 40 Karten. Der heute noch verwendete komplette Satz von 52 Karten weist einige erstaunliche numerische Übereinstimmungen mit der Natur und dem Leben auf. Viele davon sind uns mehr oder weniger geläufig, wie der Umstand, dass die Karten in zwei Farben unterteilt werden, die roten und die schwarzen, die den Tag und die Nacht oder eben allgemein das Dualitätsprinzip des Lebens darstellen, auf dem alles aufgebaut ist. Die vier Farbenfamilien stehen für die vier Jahreszeiten (Frühling, Sommer, Herbst und Winter), aber auch für die vier Elemente (Erde, Feuer, Wasser, Luft), die 52 Karten für die 52 Wochen des Jahres, die 13 Karten in einer Flöte für die 13 Mondphasen des Jahres, die 12 Bildkarten für die 12 Monate im Gregorianischen Kalender, und wenn man alle Kartenwerte zusammenzählt, erhält man die Summe 364 – da jedes Spiel aber auch über zwei Joker verfügt, kann man diese zur Vervollständigung des Jahres verwenden und damit auch das Schaltjahr berücksichtigen. Das alles ist wundersam kurios, aber noch lange nicht das Ende der Geschichte. Eine wenig bekannte Tatsache ist, dass beim Ausbuchstabieren der dreizehn Werte eines Kartenspiels genau 52 Karten benötigt werden, also genau so viele Karten, wie ein Spiel ausmachen. Und tatsächlich funktioniert  es – und erst noch in mehreren Sprachen!

Versuchen wir es doch gleich einmal auf Deutsch – nehmen Sie ein komplettes Spiel mit 52 Blatt zur Hand und buchstabieren Sie folgende dreizehn Kartenwerte (die Buchstabenkombination „ch“ bei „Sechs“ und „Acht“ zählen wir jeweils als einen Buchstaben, da es ja auch ein Laut ist): As-Zwei-Drei-Vier-Fünf-Sechs-Sieben-Acht-Neun-Zehn-Bube-Dame-König- Mit dem „g“ von „König“ sollten Sie die letzte Karte des Spiels abgelegt haben – erstaunlich nicht wahr? Versuchen Sie es doch auch einmal auf Spanisch: As-Dos-Tres-Cuatro-Cinco-Seis-Siete-Ocho („ch“ wird wiederum als ein Buchstabe gezählt)-Neuve-Diez-Jota-Dama-Rey. Das Schöne und gleichzeitig Kuriose dabei ist also: Es funktioniert auf Deutsch, Spanisch und Französisch und wahrscheinlich auch in anderen Sprachen, die ich nicht spreche!


Mit freundlicher Genehmigung von Roberto Giobbi

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